contemporary art

Kriegsgipfel

1918, vor bald hundert Jahren, ging der Erste Weltkrieg zu Ende. Der deutsch-italienische Künstler Riccardo Vecchio wanderte durch die Dolomiten und zeichnete die Berge, an denen damals gekämpft und gestorben wurde. Von Mohamed Amjahid

ZEITmagazin Nr. 53/2017 19. Dezember 2017, 17:23 Uhr

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Ob Gabriele D’Annunzio am 9. August 1918, kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges, ein Auge für die Schönheit der Dolomiten gehabt hat, weiß man nicht. Auf jeden Fall flog D’Annunzio, italienischer Poet des Fin de Siècle und Propagandist des Militärs, an jenem Tag über sie hinweg, er saß hinter den Piloten einer kleinen Propellermaschine. Zusammen wollten sie von Padua nach Wien – der Hauptstadt des Feindes. An Bord hatte D’Annunzio Tausende grün-weiß-rote Flugblätter: Kriegspropaganda. Doch der Text war nur auf Italienisch zu lesen, sodass die meisten Wiener ihn nicht verstanden. D’Annunzio war das egal, er hatte sowieso nur die eigene, kriegsmüde Bevölkerung im Visier: In der italienischen Presse wurde der Propagandaflug hinterher bejubelt, und fürs Durchhalten versprachen die italienischen Kriegsführer ihrem Volk die Annexion der bis dahin zur Habsburgermonarchie gehörenden Dolomiten. Am Ende haben die Italiener den Gebirgskrieg auf 4000 Meter Höhe gegen Österreich-Ungarn gewonnen. Der Preis: Hunderttausende Menschen starben durch Granatbeschuss oder Kälte.

Der deutsch-italienische Künstler Riccardo Vecchio wanderte im Jahr 2014, hundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges, wochenlang in den Dolomiten. In den folgenden Sommern kehrte er dorthin zurück, studierte Gipfel, Eisformationen und Bergwege, auf denen Maultiere einst Proviant für die Truppen transportierten. Sein Großvater Cesare war mit 18 Jahren in die italienische Armee eingezogen worden, wurde später von Österreichern gefangen genommen, konnte entkommen und floh im Sommer 1917 zu Fuß über die Berge nach Mailand.

"Ich kenne die Dolomiten von Ausflügen in meiner Kindheit. Ich bin dorthin zurückgekehrt, um das aktuelle Unbehagen in Europa zu verstehen", sagt Vecchio, 47, der seit zwanzig Jahren in New York lebt und arbeitet. Auch im Zweiten Weltkrieg wurden die Dolomiten zu einem Schauplatz des Grauens. Mit den schmelzenden Gletschern tauchen nun überall Relikte des Krieges auf, Vecchio fand bei seinen Reisen Einschlagkrater und Überreste von Bomben. "Angesichts des Aufkommens von rechtspopulistischer Rhetorik und Nationalismus überall auf der Welt sind diese Berge Zeugen vergangener Massaker im Namen von Machterhalt und Profit", sagt Vecchio.

In seinem Atelier in New York arbeitet er seit Jahren an den Ölgemälden. Detailversessen versucht Vecchio jeden Hang, jeden Felsen, jeden Gipfel so genau wie möglich nachzuzeichnen. Seine Mission sei es, die Erinnerung an das Grauen vergangener Tage für die Zukunft wachzuhalten, sagt er. Wer weiß zum Beispiel noch, dass am 13. Dezember 1916, an einem einzigen Tag also, Tausende Männer in Lawinen starben? Grenzen zwischen Ländern liegen oft in den Bergen, wo niemand wohnt. Es macht also fast keinen Unterschied, ob die Grenze ein paar Meter weiter hier oder da verläuft. Aber der Nationalismus lässt dafür Unzählige sterben.

War x Artifice

War x Artifice, Feb4- March2nd,  Opening Reception Feb6th, 2017, 6-8 pm

SVA Gramercy Gallery,
209 East 23 rd Street.
NY, NY 10010

 

In War x Artifice, Riccardo Vecchio called upon the 100 year anniversary of World War I to explore the relationship between war and the artifice of nation-state building and the creation of borders.
Vecchio focuses this exploration on the unearthly typography and transformation of a stunningly beautiful yet infamously brutal repository of human suffering – the mountain ranges of the Italian dolomites. Between 1915 and 1918, across this 11,000 foot elevated Alpine Ridge, horrific battles waged between Italy and the Austro-Hungarian Empire each in its quest for military and political dominance in Europe. In an attempt to cut off the advance of the enemy, trenches and tunnels were dug into glaciers and rocks where tons of dynamite was exploded. Entire peaks imploded, burying many alive. Others succumbed to gunfire, avalanches and frost. Indeed, with the current rising waves of populist rhetoric and nationalism around the world, these mountains stand as witnesses and spectral presence for Vecchio of the carnage inflicted on man and nature in the pursuit of power and profits. Monuments to human vanity.
On location, it was clear that the starkly elegant forms in ice and rock were not benign natural geologic occurrences, but instead, scarred mountain peaks and craters blown up by relentless bombing almost a century ago. As the glaciers at the highest altitudes continue receding today, new war relics and corpses continue to surface. Up close it is possible to see the stress cracks in the rock, remnants of detonated bombs, and other after-effects of the war. The melting glaciers, revealing a virtual cemetery riddled with gravestones. Back in his studio, Vecchio explores the relationship between technologically advanced tools of visualization, such as Google earth and satellite imagery, and his firsthand experience, in order to depict the landscape as a projection of emotive states.
Using photographs taken on location as reminders of the unearthly spectrum of greys, mustards and lavenders he observed, and literally mapping his steps by creating 3-D silicone and sand models of the exact latitude and longitude of the places he had been, Vecchio creates monumental paintings.
Clearly referencing the Dolomites, but with no known landmarks and a dynamic play with perspective, Vecchio is able to transform the landscape into a magical place where the works take on a character of their own. Weaving together memory of place, with firsthand experience and digital technology, the works become a dynamic exploration of an imagined adventure; emotionally charged, and no less valid than those created on location.